Jüdische Strasse in Mecklenburg-Vorpommern

Unser Projekt

Eine jüdische Straße in Mecklenburg und Vorpommern

Die Webseite vermittelt anhand von biografischen Blitzlichtern eine Vielfalt jüdischen Lebens vor dem Beginn der NS-Verfolgung. Im Mittelpunkt stehen Jüdinnen und Juden als Akteure und Gestalter ihres Lebens und nicht als Opfer von Verfolgung.

In dem von uns erarbeiteten Unterrichtsmaterial, in dem regionales jüdisches Leben vor 1933 anhand einer Ausstellung zu recherchierten Biografien aus Mecklenburg und Vorpommern präsentiert wird, werden die Bewohnerinnen und Bewohner der jüdischen Straße lebendig. Fotos der authentischen Häuser der jüdischen Familien bilden als Rollups eine Straße, deren Bewohner man in den Bild- und Textmaterialien kennenlernt.

Diese Biografien-Sammlung mit ergänzendem Bildmaterial und didaktischer Handreichung ist schulartenunabhängig, fächerübergreifend, projektgeeignet und im E-Learning einsetzbar.

Ausgehend von der hier ebenfalls auszuleihenden analogen Fassung entwickeln und ergänzen wir die Webseite immer weiter. Wir gestalten die Materialien barrierefreier und arbeiten weitere audiovisuelle Medien ein. Darüber hinaus verbinden wir sie mit anderen inhaltlich passenden Angeboten und machen sie interaktiv nutzbar.

Handreichung

Unsere Motivation, Herausforderungen und Chancen des Materials

wir wollen Ihnen hier ein Material vorstellen, das wir erarbeitet haben, um einen Workshop der von uns im Sommer 2015 in Yad Vashem besuchten Fortbildung an die Geschichte unseres Bundeslandes anzupassen. Sie finden Anmerkungen zur Entstehungsgeschichte des Materials, zu seinen Inhalten und zu einigen seiner Verwendungsmöglichkeiten. Darüber hinaus wollen wir Ihnen kurz unsere Grundsatzüberlegungen transparent machen, um Ihnen eine Einschätzung der
Materialien zu erleichtern. In dieser Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet. Weibliche und anderweitige Geschlechteridentitäten werden dabei ausdrücklich mitgemeint, soweit es für die Aussage erforderlich ist.

Unsere Motivation

Ausgangspunkt für die Erstellung des Materials „Jüdische Spuren in Mecklenburg-Vorpommern“ war für uns die Teilnahme an einer vom Bildungsministerium Mecklenburg-Vorpommern organisierten Fortbildung zum Thema „Erziehung nach dem Holocaust“ in Yad Vashem, Israel, im Sommer 2015. Zusammen mit Lehrern und Sonderpädagoginnen arbeiteten wir intensiv an der deutsch-jüdischen Geschichte und dem jüdischen Leben vor, während und nach dem Holocaust. Durch die gute Zusammenarbeit während des Seminars lernten wir viele tolle Menschen aus unserem Land und Israel kennen. Diese zwei Wochen machten sich bei uns allen sehr bemerkbar, denn der persönliche Wissenszuwachs war enorm. Innerhalb der Fortbildung nahmen wir an einem Workshop teil, der uns zeigte, wie vielschichtig die jüdische Bevölkerung war und immer noch ist.

Unseren Schülern sind Juden bisher wohl eher als eine (einheitliche) Gruppe von Opfern des Nationalsozialismus bekannt. Dabei bleiben die Menschen oft gesichtslos. Das wollen wir mit diesem Material ändern, indem wir ihnen „Gesichter“ geben, unterschiedliche jüdische Identitäten aufzeigen und einen Beitrag dazu leisten, „die Juden“ und „das jüdische Leben“ differenzierter zu betrachten. Wie schwierig es aber manchmal ist, geschichtliche Vielfalt heute noch aufleben
zu lassen, wurde uns in der Recherche und Bearbeitung unseres Materials noch einmal sehr deutlich. Denn nicht alle sozialen Gruppen und Schichten haben im gleichen Maß schriftliche Zeugnisse oder gar Autobiografien hinterlassen.

Zudem soll es eine Gelegenheit sein, den Schülern die regionale Geschichte näher zu bringen. Die Schüler sollen auf eine Entdeckungsreise innerhalb der Geschichte ihres Bundeslandes gehen. In der Arbeit mit dem Material ist uns wichtig, dass es immer anschaulich bleibt. Dies ist vor allem an unseren Biografiekarten und den Rollups ersichtlich. Damit das Material vielseitig ohne Einbindung in größere Unterrichtseinheiten eingesetzt werden kann, war es uns wichtig, es so zu gestalten, dass es schulart- sowie fächerübergreifend genutzt werden kann.

Wir möchten mithilfe des Unterrichtsmaterials „Jüdische Spuren in Mecklenburg-Vorpommern“ unsere Begeisterung und unsere Freude an der Entdeckung in Yad Vashem mit Ihnen teilen. Wir hoffen, Sie machen wie wir in der Arbeit mit diesem Material viele eigene und überraschende Erfahrungen!

Herausforderungen des Materials

Die Biografien bestehen aus bearbeiteten Selbstzeugnissen sowie Nacherzählungen in der Ich-Form. Ein entscheidendes Kriterium für die Erstellung des Materials war für uns die Bewahrung historischer Authentizität. Deshalb haben wir ausschließlich mit realen Biografien gearbeitet. So bieten alle Texte grundsätzlich nur recherchebasierte Informationen, keine allgemeinen historischen Informationen wurden hinzugefügt. Diese finden Sie stattdessen hier in begrenztem und auf unsere Region beschränktem Umfang im Begleitheft.

Wir haben uns darum bemüht, die Biografien nur sehr zurückhaltend sprachlich zu vereinfachen. Deshalb haben wir uns entschlossen, eine vereinfachte Version der Texte zu erstellen, beispielsweise für Grundschüler. Unser Ziel einer zeitlich sehr begrenzten Unterrichtseinheit bedeutete für die didaktische Reduktion eine besondere Herausforderung. Die Wahl des biografischen Ansatzes führte dazu, dass schon durch die Verfügbarkeit von Primär- und Sekundärquellen die Texte keinen repräsentativen Querschnitt des Alltags mecklenburgischer und vorpommerscher Juden darstellen.

Wir sind uns bewusst, dass die Zufälle und Chancen der Überlieferung genauso wie die Zugänglichkeit des Materials dazu geführt haben, dass sich der Einblick auf bestimmte Bevölkerungsgruppen reduziert. Zur Sozialstruktur mecklenburgischer Juden finden Sie hier im Begleitheft eine Statistik als Zusatzinformation. Wichtig erscheint uns deshalb der Hinweis, dass der Umgang mit dem Material keineswegs zu einer Übergeneralisierung der Beispiele führen darf. Die Verstärkung der Klischees über „die Juden“ soll unbedingt vermieden werden.

Verwiesen sei noch einmal auf die generelle Problematik der Biografien, die aus den zum Teil erst sehr spät geäußerten Erinnerungen der jeweiligen Protagonisten zusammengestellt wurden. Neben bewusst selektiver oder „korrigierter“ Erzählung spielt dabei die Frage einer Erinnerung als Projektion aktuellen Wissens auf damalige Erlebnisse eine Rolle, indem zum Beispiel das Wissen über den Holocaust als Filter oder Leitplanke der Erinnerung die Erzählung beeinflusst. Unsere Geschichten stellen immer eine durch unterschiedliche Faktoren beeinflusste Rekonstruktion des Geschehenen dar und können daher nicht eine „historische Wirklichkeit“ für sich beanspruchen.

Chancen des Materials

Wir haben uns für die Bearbeitung von Biografien entschieden, weil diese im Hinblick auf die Lernziele mehrere Vorteile bieten und zugleich Prinzipien berücksichtigen, deren Bedeutung uns in der Seminararbeit in Yad Vashem noch einmal besonders deutlich wurde.

Zunächst haben wir selbst die Erfahrung gemacht, dass ein gedrängter Lehrplan oft dazu führt, dass jüdische Geschichte in Deutschland auf religiöse Aspekte, mittelalterliches Stadtleben und die Zeit des Nationalsozialismus reduziert wird. Wir wollen dazu beitragen, dass Juden nicht nur als Gruppe, als Objekte der Geschichte, sondern als autonome Individuen mit eigenen Handlungsspielräumen, persönlichen Eigenheiten, Abneigungen und Vorlieben wahrgenommen
werden.

Eines unserer Hauptanliegen ist es, die individuellen Unterschiede jüdischen Lebens erkennbar zu machen. Deshalb enden unsere Geschichten alle mit dem Jahr 1933, hier liegt konsequenter Weise der Erzählzeitpunkt. Denn die Geschichte kann nicht von ihrem Ende her gedacht und verstanden werden. Es ist vor 1933 eben nicht klar vorhersehbar, dass das europäische Judentum im Holocaust fast vollständig vernichtet werden wird. So steht das Leben von Juden und
gerade nicht deren Verfolgung im Mittelpunkt. Deutsche Juden begegnen den Schülern hier 7 nicht als Opfer des Holocausts, sondern als Menschen mit einem Leben vor und in vielen Fällen, wie das Zusatzmaterial zeigt, auch nach der NS-Verfolgung. Unser Material bietet insofern eine Möglichkeit, als Ergänzung zu einem besseren Vorverständnis im Hinblick auf die NS-Geschichte beizutragen. Hier sei nur auf den in unserer Region verbreiteten sogenannten Bäder-Antisemitismus verwiesen. Exemplarisch wird daran deutlich, dass Juden in Deutschland schon während der Weimarer Republik trotz grundsätzlich vollständiger rechtlicher Gleichstellung vielfachen Diskriminierungen durch die nicht-jüdische Mehrheitsgesellschaft begegneten.

Die Konzentration auf Biografien soll den Schülern zudem eine möglichst große Anschaulichkeit und Alltagsnähe bieten. Indem wir Personen aus dem regionalen Umfeld auftreten lassen, wollen wir, soweit möglich, für ein ausgewogenes Verhältnis von Fremdheit und Bekanntheit sorgen, damit die Schüler bessere Bezüge zu ihrer eigenen Lebenswelt herstellen können. So können Schüler in ihrem näheren Umfeld Anknüpfungspunkte für eine mögliche Weiterarbeit
zum Thema Geschichte deutscher Juden entdecken und ihr eigenes Lebensumfeld besser verstehen lernen.

Die Erstellung einer imaginären Straße auf den Aufstellern soll durch den visuellen Eindruck, durch ihre Größe und Präsenz dazu einladen, sich mit dem Material auseinanderzusetzen, da uns zu unserem Thema audio-visuelle Medien nicht in hinreichendem Umfang zur Verfügung stehen. Zum einen sind die Protagonisten der Biografien bereits verstorben und zum anderen sind Angehörige für uns nicht erreichbar, weil aus den betreffenden Familien niemand mehr vor Ort oder in Deutschland lebt. Geschichte ist immer auch eine Leistung der Imagination, die durch das Material und seine Form unterstützt werden soll. So werden die Rollups für die Schüler zur Kulisse für eine gedankliche Zeitreise. In dem fiktiven historischen Straßenzug wird deutlich, dass in vielen Städten damals Juden lebten, ohne dass dies von vornherein äußerlich sichtbar war. Die weitgehende Integration der Juden in die nicht-jüdische Mehr-heitsgesellschaft kann so verdeutlicht werden. Der von uns gewählte Erzählzeitpunkt Anfang des Jahres 1933 lässt wahrscheinlich in der Weiterarbeit häufig die Frage aufkommen, was aus den vorgestellten Menschen später wurde. Hier bieten die Zusatzmaterialien die Möglichkeit, das Schülerinteresse zu befriedigen, ohne dass dafür ein großer Exkurs nötig wird. In der Auseinandersetzung mit dem Zusatzmaterial erfahren die Schüler, dass es ganz unterschiedliche (Familien-)Schicksale gab, die von Emigration bis hin zur Auslöschung ganzer Familien reichten.

Einsatzmöglichkeiten und Lernziele

Das Material besteht zunächst aus zehn Aufstellern (Rollups), die die Häuser der hier vorgestellten Menschen abbilden. Dazu gehören Biografiekarten jeweils in einer Version für weiterführende Schulen und Grundschulen, ergänzende Materialien zu den Lebensläufen der vorkommenden Personen sowie diese Handreichung für Lehrer. Alle für die Hand der Schüler gedachten Texte liegen im Sinne einer möglichst großen Barrierefreiheit auch in einer Hörversion vor, die über einen QR-Code abrufbar ist.

Gedacht ist das Material als Einstieg in die Auseinandersetzung mit der Geschichte der mecklenburgischen und vorpommerschen Juden. Innerhalb einer Doppelstunde sollen die Schüler einen schlaglichtartigen Einblick in die Lebenswelt jüdischer Familien vor der Zeit des Nationalsozialismus bekommen.

Danksagung

Für die freundliche Unterstützung unserer Arbeit bedanken wir uns bei:

  • Stadtgeschichtliches Museum Grevesmühlen
  • Museum der Stadt Parchim
  • Museum der Stadt Pasewalk
  • Museum im Steintor Anklam
  • Max-Samuel-Haus Stiftung
    Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur in Rostock
  • Berufliche Europaschule des Landkreises Vorpommern-Greifswald
  • Eldenburg-Gymnasium Lübz
  • Europaschule Oskar-Picht-Gymnasium Pasewalk
  • Europaschule Gymnasium Am Sonnenkamp Neukloster
  • Grundschule am Friedenshof Wismar
  • Landesförderzentrum Hören Güstrow
  • Regionales Berufliches Bildungszentrum V-R Stralsund
  • Regionale Schule mit Grundschule „Käthe Kollwitz“ Rehna
  • Regionale Schule mit Grundschule „Werner Lindemann“ Lübstorf
  • Schulverein Gymnasium Neukloster 1993 e.V.
  • Internationale Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem
  • Doris Lipowski, Wolfgang Klameth, Institut für Qualitätsentwicklung Mecklenburg-Vorpommern
  • Prof. Dr. Oliver Plessow, Historisches Institut der Universität Rostock
  • Matthias Baerens, Schwerin
  • Gerald Grewolls, Schwerin
  • Dr. Wilfried Hornburg, Anklam
  • Iris vom Stein, Wismar

Das Projekt wurde gefördert durch:

  • The ICHEIC Program for Holocaust Education in Europe
  • Yad Vashem – The International School for Holocaust Studies
  • Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern
  • Stiftung für Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement in Mecklenburg-Vorpommern
  • Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern
  • Bundesprogramm Demokratie leben!
  • Hansestadt Wismar
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